Mir kommts immer ein wenig folgendermaßen vor:
Sinatra war ein Naturtalent in der Interpretation von Stimmungen, Emotionen und „Tönen“ (das können auch „mimische Töne“ sein).
In seiner Musik hat Sinatra das zur Perfektion gebracht, und in vielen (ich denke: in den meisten) seiner Lieder einen interpretatorischen Level erreicht, den vor ihm niemand erreichte und den nach ihm auch niemand mehr erreichen wird.
Dazu bedurfte es aber schon mehr als das „Naturtalent“ – Sinatra war seit frühester Jugend musikbegeistert, hat die Songs seiner Zeit immer und immer wieder gehört, die Melodien verinnerlicht UND vor allem die Texte... er selbst hat ja im Laufe der Jahrzehnte immer wieder darauf hingewiesen, sein „Einstieg“ in einen Song sei immer der Text, die „Geschichte“ die ein Text erzählt, mit all ihren emotionalen Nuancen, und danach dann richte er seine Interpretation aus, versuche das „rüberzubringen“, was sein Empfinden der „Story“ sei.
Letzteres konnte er dank Naturtalent perfekt – die Vorbereitung dafür war professionelle harte Arbeit. Und die machte er so gründlich, daß er selbst dann noch absolut überzeugend interpretierte, wenn der Liedtext selbst eher platt war („Strangers In The Night“).
Nicht umsonst haben viele Instrumentalisten und Jazz-Größen immer wieder Sinatras *Gesang* (also seine Phrasierung der *Worte*) als *instrumental* inspirierend bezeichnet: Lester Young, Stan Getz, Oscar Peterson und wie sie alle heißen. Am berühmtesten sicher das Diktum von Miles Davis.
Analog im Film: Auch dort hatte FS meiner Meinung nach eine „Naturbegabung“, eben zum *darstellen*, und wann immer er sich die „Story“ einer Filmrolle wirklich verinnerlichte, lieferte er auf der Leinwand ebenso unschlagbare Leistungen ab wie auf Schallplatte: „The Manchurian Candidate“ ist grandios gespielt, ebenso „The Man With The Golden Arm“, und vor allem „The Joker Is Wild“, wo er musikalische Rolle (Oscar-prämierter Song „All The Way“) und dramatische Rolle (des Entertainers, dem die Mafia die Kehle durchschneiden läßt) vereinte.
Aber: Nur in vergleichsweise wenigen seiner Filme entfaltete er sein ganzes interpretatorisches Talent („Suddenly“ von 1954, wo er den teuflischen Killer mimt, mit ganz erschreckend authentisch wirkender „eiskalter“ Sprache, ist eine weitere solche Glanzrolle, die man erwähnen muß, ebenso „Young At Heart“).
Nur an den teils allenfalls mittelmäßigen Drehbüchern kann das aber nicht gelegen haben, denn in der Musik machte FS selbst aus qualitativem Schrott noch „was gutes“, gab alles, selbst wenn ein Song oder ein Arrangement ihm dafür fast gar keine Möglichkeit bot („Something Stupid“, einige der Freeman-Sachen usw.)
Der Eindruck scheint mir doch eher zu sein, daß Sinatra in vergleichsweise viele seiner Filmskripte nicht mit derselben Akribie eintauchte wie in seine Lieder – vielleicht ein wenig ähnlich wie Robert Mitchums legendäre Marotte, seine Parts am Rande mit „N.A.R.“ (=“no acting required“, also „kann ich so runterspielen“) zu versehen.
Da kams dann im Einzelfall darauf an, ob FS sich durch eine bestimmte Szene beim Drehen spontan inspiriert fühlte – Alfred hat das klasse beschrieben: Es gibt Filme, die insgesamt eher schrottig sind, in denen Sinatra aber trotzdem die eine oder andere geniale Szene spielt. Oft aber trat das nicht ein, und Sinatra selbst wußte das am besten – sehr sehr bezeichnend etwa sein bekannter Part im TV-Special von 1969 („Sinatra“), als er sich über einige seiner Filmrollen selbst lustig macht. Über seine *Musikaufnahmen* hat Sinatra sich öffentlich hingegen nie lustig gemacht, von wenigen Ausnahmen mal abgesehen (bekannteste Ausnahme sein Kommentar „the worst fucking song I ever heard“ zu „Strangers In The Night“ im „Concert For The Americas“).
Kurzum: Wo immer Sinatra „inspiriert“ auftrat, konnte er auch auf der Leinwand locker in die Spitzengruppe der Hollywood-Schauspieler vorstoßen. Aber er tat es selten.
Ein gutes Beispiel für das, was ich sagen möchte, ist seine letzte Hauptrolle von 1987, in der Folge „Laura“ aus der TV-Serie „Magnum“.
Das ganze Drehbuch hatten sie extra für FS geschrieben (der zuvor gesagt hatte, er sei großer Fan von Magnum und würde gerne mal mitspielen), und einige clevere Gags sind auch eingebaut (zum Beispiel die Prügelszene in der Bar als Zitat aus „From Here To Eternity“, einschließlich Sinatra im Hawaii-Hemd) – aber insgesamt ist das ganze doch allenfalls durchschnittliche Krimiware: Pensionierter Polizeioffizier (Sinatra) jagt Kinderschänder, den Mörder seiner Enkelin, und ermittelt dabei auf eigene Faust in fremdem Revier. Da ist die Tatsache, daß Sinatra mitspielt (war 1987 eine Sensation), sicher aufregender als der Plot selbst.
ABER: Dann die Schlußszene, drehbuchmäßig eigentlich nur der „übliche“ Heile-Welt-Happy-End-Krimiserien-Kitsch, als der Übeltäter „zur Strecke gebracht“ worden ist und der Polizeioffizier-Großvater auf dem Friedhof an den Grabstein seiner Filmenkeltochter tritt, niederkniet, seine Hand auf den Grabstein legt und seiner „Enkelin“ sagt: „Wir haben ihn, Schatz, wir haben ihn!“.
Diese wenigen Minuten und Sequenzen aber spielt Sinatra absolut großartig, so dermaßen authentisch und bewegend, daß es einem fast die Sprache verschlägt. Als „Material“ hat er wenig: Nur den einen Satz aus dem Skript. Aber was macht er draus? Ganz viel Mimik (Kamera zeigt ihn in Großeinstellung), die Geste des Grabstein-Anfassens, und dann die Art *wie* er diesen einen Satz ausspricht, phrasiert, emotionalisiert (geht in der deutschen Synchro leider völlig unter)... da sind wir bei denselben Techniken angekommen, die auch für seine Musik gelten.
Schaut Euch das mal an! (Die Folge „Laura“ ist jetzt auch auf DVD erschienen, im jüngsten Paket mit weiteren Magnum-Staffeln).
Mein persönliches Fazit:
Sinatra war genial, wann immer er es wollte.
In der Musik, bei den Liedern, wollte Sinatra immer: Und beinahe immer ists ihm geglückt.
In den Filmen wollte Sinatra nur gelegentlich: Und dabei ist ihm am Ende mehr geglückt als er vielleicht wollte.
So oder so:
Bernhard.