Nachdem uns heute morgen Sinatras "Anytime, Anywhere" geweckt hat, fragte ich meine Freundin, warum sie eigentlich mit Franks Musik (mit Ausnahme weniger Stücke wie "Nice'n'Easy") nicht so richtig warm wird. Nicht zum ersten Mal zwar, aber diesmal fand ich die Antwort besonders interessant: "Weißt Du, egal was der singt, der klingt immer traurig. Den will man eigentlich nur in den Arm nehmen und ihm sagen, das Leben ist gar nicht so schlimm."
Ich bin nicht dieser Meinung, aber kann sie nachvollziehen. Anfügen muß ich, daß Judith vom "Ava-Gardner-Komplex" gehört hat und das vielleicht ihr Urteil beeinflußt. Aber: Gerade das in Sinatras Stimme und Ausdruck, das anderen "traurig" vorkommen mag, hat mich (mittlerweile kann ich schreiben "vor bald 10 Jahren" ) so angezogen. Eine besondere Ernsthaftigkeit, Ehrlichkeit, Nachdenklichkeit, die er ja selbst in Passagen wildester Swinger anklingen läßt. Von den Balladenalben ganz zu schweigen. Er ist ECHT, und er läßt die Zuhörer in seine Seele schauen. Vielleicht zieht gerade das Menschen an, die eine gewisse Neigung zur Melancholie haben, und hat für andere wiederum eine zu düstere, beschwerte Note. Die mögen dann Dean Martin am liebsten. Oder gar die "Grinse-Entertainer"-Fraktion mit dem prominenten Vertreter aus dem Frisörfach.
"Pass Me By" und "Forget Domani" spiele ich wirklich sehr selten. Und dann auch nur, weil ER sie singt... Ich hab's heute morgen auch mit "Too Close For Comfort" versucht, also einem klassischen Capitol-Swinger, was ihre Meinung aber nicht geändert hat.
Mich würde halt interessieren, ob die Anderen sowas auch schon gehört haben.
Nachdem sie wenigsten "Nice'n Easy" nicht als traurig einstuft, liegt es also nicht an der Stimme - entweder Du begibst Dich auf Suche nach Happy Sound (Tipp: "Swingin' On A Star"), oder Du probierst es umgekehrt: Spielst zur Abschreckung "She Shot Me Down" - nur Vorsicht, dass sie das nicht als Aufforderung versteht.
Ich empfinde Sinatra jetzt nicht als besonders schwermütig. Nat King Cole, beispielsweise, würde ich eher in diese Kategorie einordnen.
Ich gebe aber zu, dass das natürlich immer etwas eine "Gratwanderung" ist. "I've Got You Under My Skin" swingt beispielsweise wie die Hölle, betont aber gleich im nächsten Satz wieder die "Unglücklichkeit" des Sängers ("you never can win"). Ich glaube aber, dass das jetzt nicht unbedingt ein Phänomen ist, dass nur auf Sinatra zutrifft, oder nur auf die Songs, die er gesungen hat...
Viele Grüße,
Stefan Huber shicorpNO@SPAMgmx.at ------------------
Zitat von alfrednur Vorsicht, dass sie das nicht als Aufforderung versteht.
Zitat von shicorpIch empfinde Sinatra jetzt nicht als besonders schwermütig. Nat King Cole, beispielsweise, würde ich eher in diese Kategorie einordnen.
Komisch - aber gerade Nat King Cole nehme ich Schwermut (aber auch überbordende Romantik) weniger ab als Sinatra. Den würde ich eher in "gut gespielt" einordnen. Dabei mag ich Cole als Sänger.
Eine spannende Frage. "Traurig" ist vielleicht der falsche Begriff. Klar, viele der Balladenalben etc. sind irgendwo schon "traurig" auch, aber so wirklich trifft traurig die Stimmung von Only The Lonely oder No One Cares oder meinetwegen auch "She Shot Me Down" nicht. Es ist viel Melancholie dabei, ja. Ängstlichkeit, Einsamkeit, ein gewisses Maß an Wut und Leidenschaft, Verzweiflung. (Ver-)Brennendes Feuer und hin und wieder Selbstmitleid.
Traurigkeit ist für mich eine Vorstufe all dieser genannten Emotionen und nicht so "intensiv"...gegen Trauer hilft meist Trost, aber würde Frank, wenn er in seiner Bar sitzt und Angel Eyes singt, Trost helfen? Ich glaube nicht. Die wenigsten "Probleme" in den Lieder lassen sich für Frank durch Trost lösen. Es geht doch meistens darum, dass er selbst auf der Suche nach einer Lösung ist, er selbst zu akzeptieren versucht, was geschehen ist.
Mir fällt jetzt auf Anhieb auch kaum ein Album oder ein Song ein, der (ausschließlich) traurig wäre. Am ehesten vielleicht noch "Lady Day"...
In Antwort auf: Den will man eigentlich nur in den Arm nehmen und ihm sagen, das Leben ist gar nicht so schlimm."
Und genau das würde doch all die Lieder und das "Persönlichkeitsbild", das man von Sinatra hat, sofort zerstören. Sinatra mit gebrochenem Herz gehört an eine Bar und nicht in die Arme seiner besten Freundin zum Ausheulen. So abgedroschen das jetzt auch klingen mag, aber ich denke es hängt einfach mit dem Männlichkeitsbild zusammen, das Sinatra verkörpert. Sich musikalisch nur mit "Traurigkeit" zu begnügen und "rumzuheulen", dass ist für Olli P. oder Ex-Boygroup-Schmusesänger akzeptabel. Bei Sinatra aber würde das lächerlich wirken...
Das ist jetzt eine gewagte These, aber ich stell sie trotzdem einfach mal so zur Diskussion in den Raum: Frank Sinatra (ab der Capitol-Zeit) spricht überwiegend männliche Hörer an, zu einem guten Teil auch aus den obigen Gründen.
Auf die Uptempo- und Swingsachen trifft "Traurigkeit" gar nicht zu wie ich finde. Zwar ist in so manchem lebensfrohen Swinger auch ein Hauch Ängstlichkeit und Unsicherheit dabei, die mit Coolness überspielt werden. Vieles klingt in meinen Ohren auch richtig "trotzig" ("I'm Gonna Live 'Till I Die" oder "I'm Gonna Make It All The Way", um nur mal zwei Songs zu nennen).
Marc
-------------- Tout ça pour Chopin et rien pour Hugo...
In Antwort auf: Komisch - aber gerade Nat King Cole nehme ich Schwermut (aber auch überbordende Romantik) weniger ab als Sinatra. Den würde ich eher in "gut gespielt" einordnen. Dabei mag ich Cole als Sänger.
Das hätte ich nicht besser ausdrücken können. Frank kaufe ich die Emotionen wirklich ab, es würde mich auch nicht wundern, wenn er in den Aufnahmesessions zu OTL oder anderen Alben über Einsamkeit und Verzweiflung Rasierklingen dabeigehabt hätte. Bei Nat King Cole ist das anders. Ich mag seine besondere Stimme, ab in sein Zeugnis würde ich schreiben: "Der Schüler Cole war stets hörbar bemüht..."
Marc
-------------- Tout ça pour Chopin et rien pour Hugo...
Ich habe es eigentlich schon vor längerer Zeit aufgegeben, andere Leute zu missionieren. Das gilt auch für meine anderen Hobbys. Ebenso wie ich nicht übergebühr mit Dingen belästigt werden will, die mich selbst nicht ansprechen.
Sorry, vielleicht traut sie sich ja nicht zu sagen, dass FS einfach nicht ihr Geschmack ist und wollte es deshalb "durch die Blume" (durch eine sehr hübsche allerdings) sagen.
An sich ist da ja was dran - Frank war ja beides - schwermütig und überschwenglich zugleich. Gerade dieser unglaubliche Spagat macht schon einen besonderen Reiz vom Phänomen Sinatra aus. Fast noch beeindruckender bei Konzerten, wo er da innerhalb von Sekunden die Stimmungen wechseln konnte - und die wirken nicht aufgesetzt, da kippt er tatsächlich voll rein. Und irgendwo sind bei ihm fast immer beide Elemente vorhanden: Er ist in fast jedem Song ein Wengerl manisch und auch ein wenig depressiv. Die Rasierklingen und die Champagnerkorken liegen bei ihm fast immer offen.
Es gibt aber sehr wohl auch Songs, die nur von einem der beiden Elemente getragen werden. Ich denke aber dass unsereins diese Nummern nicht so sehr schätzt und daher auch weniger oft spielt. Unsereins sieht das Licht am Ende des Tunnels auch in "She Shot Me Down". Da tut sich der Anfänger aber schon schwer. Ich hatte da mein Erlebnis. Ein guter Freund von mir - er mag Sinatra nicht, auch wenn er mittlerweile sein Genie begriffen hat, stieg zu mir ins Auto, als da grad die CD "She Shot Me Down" lief. Dies war ihm in seiner damaligen Stimmung ein wenig zu schwermütig, worauf ich sofort den Titel "South To A Warmer Place" anspielte - den Silbersteif am Horizont verstand er nicht wirklich, sonst hätte er nicht gemeint, dass er im Falle, dass ich nicht sofort den Sound wechsle, unverzüglich das Abschleppseil aus dem Kofferraum holen würde ...
Nat King Cole ist vielleicht sogar ein gutes Beispiel, nur hier kommt der Unterschied weniger beim Sänger durch. Und was Frank betrifft, wir hatten ja Mal in der Voice einen Fachartikel, der davon gehandelt hat, dass Künstler durchwegs psychisch Grenzgänger sind, und dass das bei Jazzmusikern ganz besonders ausgeprägt ist. Frank ist da ein herrliches Beispiel.
Worauf ich aber bezüglich Miner hinauswollte, versuche ich es jetzt Mal mit einem anderen Künstler: Solltest Du den Radiowecker Mal mit Reinhard Mey füttern, wähle nicht die phantastische Ballade um den Selbstmord von "Atze Lehman", nimm lieber das süsskitschige Liebeslied "Sommermorgen". Das gilt natürlich nur, wenn Du in Begleitung geweckt werden willst.
In Antwort auf: nimm lieber das süsskitschige Liebeslied "Sommermorgen".
Sommermorgen ist natürlich schon schweres Geschütz...
In Antwort auf: dass Künstler durchwegs psychisch Grenzgänger sind, und dass das bei Jazzmusikern ganz besonders ausgeprägt ist. Frank ist da ein herrliches Beispiel.
Da ist viel wahres dran. Eine breite Palette an Emotionalitäten wird man wohl für die Sinatra-Liga auf jeden Fall brauchen, die Musik kann dann zugleich das Ventil und der Ausdruck sein.
Marc
-------------- Tout ça pour Chopin et rien pour Hugo...
Denke sogar, dass die Musik nicht nur Ventil ist, sondern ein extremer Verstärker. Wir hatten das ja Mal in der Diskussion über seine vierte Frau, und den Medikamenten, die man ihm verabreicht hat.
Gerade bei Sinatra kann ich mir schon vorstellen, dass der Künstler für den Menschen eine ernste Gefahr dargestellt hat.
In Antwort auf: Gerade bei Sinatra kann ich mir schon vorstellen, dass der Künstler für den Menschen eine ernste Gefahr dargestellt hat.
Sinatra ist da sicherlich eine Ausnahmeerscheinung. Man muss nicht zwangsläufig manisch-depressiv sein, um so singen zu können. Natürlich hilft's dabei... Aber es ist ähnlich wie mit der Schauspielerei denke ich. Auch da wird viel mit Wunschdenken dazugedichtet. Dass Heath Ledger zu sehr in seiner großartigen Darstellung des verrückten Jokers aufging und deswegen zu viel Tabletten eingeschmissen hat gibt eine "schöne Geschichte", mehr aber auch nicht.
Marc
-------------- Tout ça pour Chopin et rien pour Hugo...
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